Dienstag, 6. Dezember 2016

EINE GESCHICHTE ZUM NACHDENKEN ...

© Güler Temiz
Ich habe diesen einen Freund. 
Ich kenne ihn seit der ersten Klasse.
 Er war für mich der beste Junge der ganzen Grundschule,
 weil er jede Pause mit mir verstecken gespielt hatte 
und mit mir manchmal von der Schule bis nach Hause gegangen war,
 wenn ich Angst hatte allein zu gehen. 
Irgendwann hatte er aufgehört mich nach Hause zu bringen 
und angefangen mit den anderen Jungen in den Pausen Fußball zu spielen.
 Als ich elf Jahre alt war, starb meine Oma. 
Meine Mutter konnte nicht mit ansehen wie traurig ich war und rief bei ihm an. 
Er kam vorbei und tröstete mich.
 Von da an ging er wieder jeden Tag mit mir nach Hause. 
Die Jahre vergingen. 
Er kam mit einem Mädchen zusammen und trennte sich nach kurzer Zeit wieder von ihr, aber ich war immer das Mädchen, das er nach der Schule nach Hause brachte.
 In der elften Klasse saß ich im Deutschunterricht neben ihm. 
Ich starrte ihn mit meinen dunkelbraunen Augen an.
 Ich sah direkt in seine grünen Augen und verstand auf einmal,
 was meine Mutter meinte als sie zu mir sagte,
 dass die Augen das Tor zur Seele seien. 
In dem Moment wünschte ich mir, dass er mehr als mein bester Freund sei,
 aber ich wusste, dass er das nicht wollte.
Im nächsten Jahr trat er bei einer Schulaufführung auf. 
Ich saß in der ersten Reihe und lächelte ihn an während er im Rampenlicht stand. 
Er sah unglaublich schön und glücklich aus und er lächelte zurück. 
In dem Moment wünschte ich mir, dass er mehr als mein bester Freund sei,
 aber ich wusste, dass er das nicht wollte. 
Ein paar Wochen später kam er mit einer Freundin von mir zusammen. 
Alle erzählten, wie gut die beiden zusammen passen würden. 
Sie war genau so schön und beliebt wie er. 
Aber ich war es, die er jeden Tag von der Schule mit seinem Fahrrad nach Hause fuhr.
 Einen Abend saßen wir lange zusammen auf einer Parkbank.
 Er erzählte mir, dass er gerade die schönste Zeit seines Lebens habe. 
Ich sah in seine wunderschönen grünen Augen und wusste, 
dass er die Wahrheit sagte.
 In dem Moment wünschte ich mir, 
dass er die schönste Zeit seines Lebens meinetwegen hätte. 
Ich wünschte mir, dass er mehr als mein bester Freund sei, 
aber ich wusste, dass er das nicht wollte.
Am nächsten Tag in der Schule mussten wir Aufsätze 
über das Thema Erste Liebe schreiben.
 Ich wusste ganz genau, worüber ich schreiben wollte, aber ich konnte es nicht. 
Als ich meinen besten Freund anschaute, sah ich, wie er meine Freundin angrinste.
 In dem Moment wünschte ich mir, 
dass er diesen Aufsatz über mich schreiben würde.
Ich wünschte mir, dass er mehr als mein bester Freund sei, 
aber ich wusste, dass er das nicht wollte.
 Ein paar Tage später rief meine Freundin mich an und sagte mir,
 dass er mit ihr Schluss gemacht habe.
 Als er mich am nächsten Tag nach der Schule nach Hause fuhr, 
saßen wir Stunden lang auf meiner Haustürtreppe.
 Wir redeten über unsere Freunde, über die Schule, über Musik.
 Er erzählte mir, dass er meine Freundin nie geliebt habe. 
In dem Moment wünschte ich mir, dass er mir sagen würde, dass er mich liebe.
 Ich wünschte mir, dass er mehr als mein bester Freund sei,
 aber ich wusste, dass er das nicht wollte.
Die Zeit verging. 
Nach dem Abitur wollte er ein Jahr nach Kanada gehen. 
Auf seiner Abschiedsparty saß er neben mir und sagte, 
dass ich seine beste Freundin sei. 
Ich sah in seine wunderschönen grünen Augen 
und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
 In dem Moment wünschte ich mir, dass er mir sagen würde, dass er mich liebe. 
Ich wünschte mir, dass er mehr als mein bester Freund sei, 
aber ich wusste, dass er das nicht wollte. 
Die Zeit verging. 
Als er wiederkam, erzählte er mir, dass er ein Mädchen kennen gelernt habe, 
das er heiraten wolle. 
Er stellte sie mir vor. 
Als er mich fragte, wie ich sie finden würde, sagte ich, dass sie wunderschön sei.
 Er erwiderte, dass er die Liebe seines Lebens gefunden habe. 
Dann drehte er sich um und ging.
 In dem Moment wünschte ich mir, dass ich die Liebe seines Lebens sei.
 Ich wünschte mir, dass er mehr als mein bester Freund sei,
 aber ich wusste, dass er das nicht wollte.
An diesem Tag fuhr er mich zum letzten mal nach Hause. 
Er hatte den Wunsch, in seiner Heimat zu heiraten,
 bevor er mit seiner Frau nach Kanada fahren würde. 
Auf seiner Hochzeit saß ich auf seinen Wunsch hin in der ersten Reihe der Kirche. 
Er stand vorn im Rampenlicht. 
Wie bei der Schulaufführung sah er unglaublich schön und glücklich aus.
 Ich lächelte ihn an und er lächelte zurück.
 Ich sah in seine wunderschönen grünen Augen und wusste,
 dass sein Lächeln aufrichtig war.
 In dem Moment wünschte ich mir, dass ich neben ihm am Altar stehen würde. 
Ich wünschte mir, dass er mehr als mein bester Freund sei,
 aber ich wusste dass er das nicht wollte. 
Mein bester Freund zog mit seiner Frau nach Kanada.
 Ich blieb zu Hause.
Ein paar Jahre vergingen.
 Heute sitze ich wieder in der gleichen Kirche. 
Es ist seine Beerdigung. 
Er war sehr früh gestorben. 
Ich erfahre, 
dass er sich schon nach kurzer Zeit von seiner Frau in Kanada getrennt hatte.
 Es hieß, er sei aus Kummer krank geworden und deshalb so früh verstorben.
 Niemand hatte je den Grund für seinen Kummer herausbekommen.
 Es war sein letzter Wunsch, in seiner alten Heimat begraben zu werden. 
Unsere damalige Lehrerin aus der zwölften Klasse hält eine Trauerrede. 
Sie sagt, dass er schon immer wunderbar schreiben konnte. 
Daher habe sie sich entschieden, aus einem seiner Aufsätze etwas vorzulesen.
Dann beginnt sie einen Auszug aus seinem Aufsatz in der zwölften Klasse vorzulesen:
"Das Thema war "Meine Erste Liebe":
Ich habe dieses Mädchen, welches ich seit der ersten Klasse kenne noch nie angesehen ohne ihr sagen zu wollen, dass ich sie liebe.
 Ich sehe in ihre wunderschönen dunkelbraunen Augen und wünsche mir, 
dass sie mehr als meine beste Freundin ist, aber ich weiß, dass sie das nicht will...."

HÄUFIG BLEIBEN DIE WICHTIGSTEN DINGE UNAUSGESPROCHEN..
Findet Zeit euch zu lieben,
findet Zeit miteinander zu sprechen.
 Findet Zeit, alles was Ihr zu sagen habt miteinander zu teilen, 
denn das Leben wird nicht gemessen an der Anzahl der Atemzüge, 
sondern an der Anzahl der Augenblicke, die uns des Atems berauben. 
Geht Hand in Hand und schätzt die Augenblicke, wo Ihr zusammen seid, 
denn eines Tages wird dieser Mensch nicht mehr neben euch sein.
Sei wer du bist und sag, was du fühlst. 
Denn die, die das stört, zählen nicht und die, die zählen, stört es nicht.
In diesem Sinne, wünsche ich euch eine wunderschöne und besinnliche Vorweihnachtszeit mit ganz viel Liebe und Frieden 
in eurem Herzen.

Eure,
Güler Temiz